Die Haischwimmerin by Heinrich Steinfest

Die Haischwimmerin by Heinrich Steinfest

Autor:Heinrich Steinfest [Steinfest, Heinrich]
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2011-08-23T22:00:00+00:00


11

Die Straße war zu Ende, wobei man nicht wirklich von einer Straße sprechen konnte, eher von einer Schürfwunde in der Landschaft. Jedenfalls hielt Ivo den Jeep auf diesen letzten befahrbaren Metern an. Die drei Personen stiegen aus, schnallten sich ihr Gepäck um und gingen daran, nach oben zu steigen. Nicht sehr steil, ein von Gräsern und Bäumen überzogener Hügel, hinter dem eine Kette von Bergen bläulich aufragte, beschienen von einer späten Sonne, die ihr Licht zwischen Wolkeninseln hindurch auf das Land warf.

Auch wenn das der Beginn eines obligatorisch kurzen, heißen Sommers war, empfand Ivo den Anblick herbstlich, als laufe hier die Zeit und eben auch die Jahreszeit rückwärts. Oben auf der Kuppe, dort, wo ein schmaler Bach zwischen einer Gruppe locker aufgereihter Lärchen verschwand, stand ein einfaches Blockhaus. Es hatte jenem im Zuge einer unglücklichen Geschäftsvereinbarung zu Tode gekommenen Mann gehört, der den ominösen Zapfen entdeckt hatte. Allerdings war völlig unklar, ob er in der Nähe dieses Hauses auf die spezielle Varietät einer Dahurischen Lärche gestoßen war. Nun, wenigstens war es das Haus, das Ivo aus den Unterlagen kannte, die man ihm in Warschau ausgehändigt hatte. So gesehen mußte er sich am richtigen Ort befinden.

Die Türe zur Hütte war unversperrt. Um so mehr überraschte dann der Umstand, daß der Raum nicht leer war, sondern offenkundig aktuell genutzt wurde. Diverse Ausrüstungsgegenstände standen herum, die Matratzen der drei Stockbetten waren mit Schlafsäcken bedeckt, auf dem Tisch lagerte Kochgeschirr. In der Luft hing ein Geruch, wie ihn sehr alte Bierdeckel verströmen. Ein ganzer Stapel davon. Die Überreste ausgedrückter Zigarren steckten in einem mit Sand gefüllten Aschenbecher. Die Qualität vieler Gegenstände verriet, daß es sich um eine touristische Gruppe handeln mußte.

»Und was hat das zu bedeuten?« fragte Ivo und drehte sich zu Spirou um.

»Jagd auf Schneeschafe«, antwortete der Junge und erklärte, im Gebiet der gegenüberliegenden Bergkette lebe eine Population von Wildschafen. Beliebte Jagdobjekte für Leute, die es exklusiv mochten und darum das konventionelle Safariwesen mieden, vielmehr schätzten, in einem quasi rechtsfreien Raum ihrem Vergnügen nachzugehen. Denn obgleich man einen Teil des Dschugdschur unter Naturschutz gestellt hatte, war die Gegend insgesamt nicht gerade eine von Jagdaufsehern überlaufene. Vielmehr konnte man hier tun und lassen und zulassen, was man wollte. Das Schneeschaf war auch nicht etwa als gefährdet gelistet, was aber vor allem der geringen Kenntnis der Bestände zu verdanken war.

Spirou berichtete, ein Magadaner Veranstalter von Jagdreisen lasse kleine Gruppen von Interessierten mit dem Helikopter in diese Gegend transportieren, um die dunkelköpfigen, aber mit weißen Nasen und weißen Hintern ausgestatteten Kletterkünstler zur Strecke zu bringen. Er selbst sei noch nie einem dieser Jäger begegnet, die würden sich in Ochotsk nicht sehen lassen. Spirou erinnerte: »Wir sind hier draußen nicht mehr in Lopuchin-Land.«

Ivo griff sich reflexartig an die linke Wange, befühlte die fünf kleinen Narben und wollte wissen, wie es jetzt weitergehe.

Spirou empfahl, sich einen Platz zum Zelten zu suchen. Er halte es für besser, der Jagdgesellschaft auszuweichen.

Ivo nickte. Er war ganz dieser Meinung. Er war noch nie ein Freund waidmännischer Praktiken gewesen. Es gab wenig, was ihn mehr anekelte als das Verlangen, ein Wild zu erlegen.



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